Mexiko im Zapatista-Fieber

Anlässlich des 20. “Geburtstags” der EZLN und des bewaffneten Aufstands vor 10 Jahren finden in Mexiko hunderte Feiern, Diskussionen und Veranstaltungen statt. Die EZLN ruft zu Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung auf.

Luz Kerkeling schreibt uns aus Chiapas, Mexiko:

Dezember 2003

Seit dem vergangenen November und bis weit in den Januar 2004 wird Mexiko von einer regelrechten “Zapatista-Welle” erfasst. In mindestens 19 von 32 Bundesstaaten werden mehrere Hundert Informationsveranstaltungen, Debatten, Filmpräsentation, Kunstausstellungen, Lesungen, Konzerte und runde Tische organisiert.
Hauptsächlich entspringen diese Aktivitäten der Kampagne “EZLN: 20 und 10 – das Feuer und das Wort” der zivilen Zapatistischen Front zur nationalen Befreiung FZLN und der Zeitschrift rebeldía, doch auch verschiedene soziale Bewegungen beteiligen sich aktiv.

Ein bisheriger Höhepunkt war sicherlich die Präsentation des Buches von Gloria Muñoz , das den Namen der Kampagne trägt und von der EZLN selbst “autorisiert” ist. Die Autorin, die jahrelang in zapatistischen Gemeinden lebte, ist zur Zeit wegen ihres Engagements allerdings aggressiven Drohungen ausgesetzt, was den scharfen Riss in der mexikanischen Gesellschaft in Bezug auf die zapatistische Frage verdeutlicht, denn die Profiteure des Systems sind Todfeinde jedweder emanzipatorischen Bewegung. Viele Kulturschaffende haben sich inzwischen mit ihr solidarisiert und fordern Sicherheitsgarantien seitens der Behörden.

Des Weiteren wurden zwei bedeutende Film-Projekte vorgestellt. Das erste, über 2-stündige Video wurde von der linken Tageszeitung La Jornada in Kooperation mit dem Video-Kollektiv canal 6 de julio erarbeitet, die zweite Dokumentation wurde von rebeldía herausgegeben und lässt besonders die Zapatistas selbst zu Wort kommen.

Mit einem autonom organisierten Ska-, Reggae, Punk- und Surf-Festival feierten über 3.000 Jugendliche Anfang Dezember in Mexiko-Stadt das Jubiläum der EZLN. Unterstützt wurden sie dabei auch von bekannten Bands wie Los de Abajo oder Panteón Rococó. Insgesamt traten 17 weitere Gruppen auf.

Neben den fiestas werden auch zahlreiche runde Tische zur Reflexion und Debatte organisiert – meist parallel in verschiedenen Bundesstaaten. Die EZLN, die die Kampagnen-Idee von rebeldía ausdrücklich begrüßt meldete sich bisher zu jeder Diskussion mit eigenen Redebeiträgen auf Video zu Wort, hat aber auch Interesse an den Ergebnissen der Auseinandersetzungen bekundet.

Nachdem am 20. November über “Bauern, Bäuerinnen und Zapatismus” reflektiert worden war, stand am 25. November das Thema “Frauen und Zapatismus” auf der Tagesordnung. Die Teilnehmerinnen der Runde in San Cristobal, Chiapas, erkannten zwar den positiven Bezug der EZLN auf Frauenrechte an, forderten jedoch einhellig ein konsequenteres Vorantreiben der dringend notwendigen Emanzipationsprozesse im Alltag und im politischen Kampf. Für die EZLN erinnerte Comandanta Esther an die Unzulänglichkeiten ihrer machistischen compañeros: "Wir zapatistischen Frauen haben angefangen, uns zu organisieren, weil wir gesehen haben, dass wir von unserem eigenen Vater, von unseren Brüdern und von unserem Ehemann nicht beachtet werden. (...) Wir leiden unter Demütigung und Verachtung, weil wir Frauen sind (…). Lasst uns gemeinsam kämpfen und unsere Kräfte vereinen!"

Im Kontext der Debatte um “Jugendliche und Zapatismus” forderte Comandante Omar die Jugendlichen auf, nicht weiter ihr Heil in der Migration zu suchen und so Gefahr zu laufen, in einen Strudel von Drogen, Gewalt in Prostitution zu geraten, sondern in Mexiko für eine Verbesserung der Situation der Bevölkerung zu kämpfen.

Anlässlich des Treffens “Arbeiter, Arbeiterinnen und Zapatismus” rief Comandante Felipe zu entschlossenem Widerstand auf: "Diese ungerechte Lage der Arbeiter und Arbeiterinnen gleicht der Lage der Campesinos: wir, die zwei Sektoren der Arbeiter und Produzenten, sind die Ärmsten und unsere Arbeitskraft wird am meisten ausgebeutet; wir sind Teil der Produktionsmittel der Reichen, aus diesem Grund kämpft die EZLN dafür, dass es Arbeit für alle Arbeiter und Arbeiterinnen in den Städten und auf den Feldern gibt; damit es keine Arbeitslosigkeit mehr gibt, damit keine Leute mehr auf der Straße sitzen, weil sie keine Arbeit haben, um ihre Bedürfnisse zu stillen. Aber für diese Arbeit sollen Arbeiter ein besseres Gehalt erhalten, und gerechte Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Unser Ziel ist es, die Lage der Arbeiter und Campesinos zu verändern, das heißt, wir möchten eine gute ärztliche Versorgung, eine gute Ernährung, eine gute Schulbildung und das alles. (...)
Diese Veränderung kann nur erzielt werden, wenn Sie sich organisieren und wirklich kämpfen, für unsere Kinder und Kindeskinder. Auch wenn es uns viel kosten wird, ist dies der einzige Weg, um Freiheit, Demokratie, und Gerechtigkeit für alle zu erreichen. (...) Wir können ein gerechteres und würdigeres Leben für alle nur erreichen, wenn wir mit Taten kämpfen."

Weitere runde Tische finden zu den Themen “Studierende und Zapatismus”, “Lehrer, Lehrerinnen und Zapatismus”, “Kultur und Zapatismus”, “Indígenas und Zapatismus” sowie “Kommunikationsmedien und Zapatismus” statt.

Es bleibt abzuwarten, wie die emanzipatorischen Bewegungen, die durch die “Initialzündung” der EZLN von vor 10 Jahren und die Mobilisierungen aus dem sympathisierenden Umfeld wie z.B. die aktuelle Kampagne viel Kraft erhalten haben, ob der harten mexikanischen Realität weiterkämpfen können. Denn die Eliten verteidigen ihre Privilegien sehr geschickt mit einer Mischung aus Bestechung, Integration und brutaler Repression. Die derzeitigen Aktivitäten geben jedenfalls – wieder einmal - einen Grund zur Hoffnung.

(Quelle: Gruppe B.A.S.T.A., 11.12.2003)

 

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